Nahe Ferne
Gabriele Sturm steht mir ihrer Arbeit in der Tradition einer projektorientierten Kunst, die interkulturelle Zusammenhänge erforscht und kritisch aufarbeitet. Den Fokus legt sie auf die vielschichtige Schnittstelle der Themenfelder und bezieht dadurch Naturgeschichte und ihre Darstellungen, Handelsbeziehungen, etc. mit ein. Ausgehend von der aktuellen Erfahrung mit den Abläufen und Konsequenzen der Globalisierung und der damit verknüpften ökonomischen Vernetzung bezieht sich ein Teil ihres Oeuvres auf Fragen des Transfers zwischen den Kulturen, Zeiten und Orten. Die Beobachtung ihres persönlichen Umfeldes mit den scheinbar alltäglichen und selbstverständlichen Handlungen, Situationen und Dingen, bildet dabei die Grundlage, um deren soziokulturelle Voraussetzungen und Kontexte zu analysieren bzw. um deren geschichtliche Genese über weite Strecken und Zeiträume akribisch nachzuzeichnen. So hat sie beispielsweise die Diskrepanz zwischen der unmittelbaren Verfügbarkeit von Waren ferner Herkunft und dem immensen Aufwand ihrer Produktion und Anlieferung in ihrer Arbeit „wie weit ist weit ?“ thematisiert, indem sie den Transport von Tomaten aus der südlichen Türkei nach Wien selbst performativ begleitet, gleichzeitig kommuniziert und künstlerisch dokumentiert hat.
Der ungeheuren Komplexität einer solchen Reise mit allen Strapazen und Kontrollen wird durch die Berichte, die Gabriele Sturm laufend per sms in den Ausstellungsraum als home base übermittelte, augenscheinlich. Sie hebt damit die absurde ökonomische Logik des globalen Warentransfers anhand eines konkreten Beispiels und durch Anbindung an ihre eigene Person ins Bewusstsein. Was sonst ein abstrakt-entrückter und damit leicht zu verdrängender alltäglicher Vorgang ist, wird so auf eine persönliche und anschauliche Ebene verschoben. Und wenn es zunächst so aussehen mag, als ob hier ein vernachlässigbares Problem über Gebühr beachtet wird, so erweist Sturms realgesellschaftliche Echtzeitperformance das gerade Gegenteil: es ist genau jene Unachtsamkeit solchen ökonomischen Mechanismen gegenüber und deren vorbehaltlose Akzeptanz, die letztlich in ökologische und ökonomische Krisen führen kann und einer demografischen Polarisierung in Billiglohnländer und Konsumparadiese Vorschub leistet. Das Strapaziöse ihrer Handlung kann so gesehen als Metapher für Prozesse körperlicher und mentaler Ausbeutung innerhalb dieser kapitalistischen Verwertungslogik im globalen Gefälle verstanden werden.
Dass Transfer nicht einfach eine wertneutrale Übermittlung von Waren und Werten ist oder ein Austausch zwischen gleichwertigen Partnern, sondern ein machtpolisch kanalisiertes Geschehen, indem sich politische und wirtschaftliche Interessenslagen widerspiegeln, wird auch in einer weiteren Arbeit durch die katalytische Funktion der Künstlerin offenbar: Indem sie die Feder eines Paradiesvogels aus Papua Neuguinea, die als Hutschmuck gedient hatte, über Mittelsleute zurück auf die Reise in ihr Herkunftsland schickt, verweist sie durch reale Rückgabe symbolisch auf die Aneignung und Enteignung einer fremden Kultur im Zuge des europäischen Imperialismus. Die damals betriebene Verklärung des Fremden als vorzivilisatorische Gegenwelt zur industrialisierten Welt spiegelte sich nicht zuletzt im Transfer exotischer Tiere als domestizierter Wildnis. Die Archivierung und Musealisierung der Natur ferner Länder, insbesondere im 19. Jahrhundert im Gefolge der spätimperialistischen Eroberungen, war Teil der Ökonomisierung fremder Kulturen. Dass man sich damals mit fremden Federn schmückte, findet in diesem Projekt gerade durch die Aufhebung der Schmuckfunktion einer Feder und deren Rekontextualisierung ihre sprichwörtliche Interpretation.
In den performativen Prozessen erschöpfen sich die Arbeiten jedoch nicht. Sie bilden vielmehr das konzeptuelle Gerüst, aus dem heraus sie ein Geflecht aus Collagen, Fotos, Bildern, Objekten, Installationen und filmischen Arbeiten entwickelt. So gilt das Spiel der Verweise nicht nur für die symbolischen Handlungen der Künstlerin, sondern ebenso für die darauf basierenden und daran angelagerten Darstellungen in den unterschiedlichen Medien.
In der Auseinandersetzung mit dem Inhalt und deren untersuchten Funktionsweise des jeweiligen Projektthemas kristallisiert sie eine eigene künstlerische Vorgangsweise und formale Lösung heraus.
Rainer Fuchs (2010, MUMOK)